10. Februar 2021

Bitte lachen Sie jetzt - vom Umgang mit Humor

Professionelle Dolmetscher arbeiten mit dem Anspruch, das Gesagte vollständig, richtig und neutral in die Zielsprache zu übertragen. Sie werten nicht, sie filtern nicht – so sieht es das Berufsethos vor. Aber was ist, wenn der Redner einen Witz macht, der in der Ausgangssprache gut funktioniert, beim Zielpublikum aber wahrscheinlich auf irritierte Blicke oder Schulterzucken stößt? Der durch kulturelle Unterschiede für die Zuhörer nicht nur wenig witzig, sondern sogar verstörend wirken könnte? In diesem Fall greifen Simultandolmetscher auf verschiedene Strategien zurück:


„Germans find this funny“

Grundsätzlich gilt: Witze sind eine große Hürde für Dolmetscher. Die Ankündigung „Jetzt werde ich einen Witz erzählen“ jagt jedem Konferenzdolmetscher einen Schauer über den Rücken. Dolmetscher, die bereits einmal von einem Witz auf dem falschen Fuß erwischt wurden, wünschen sich vielleicht so etwas wie einen „Witzedetektor“ – ein Tool, das einen unübertragbaren Witz schon in der Anbahnung erkennt und einen passenden Witz in der Zielsprache bereitstellt.
 

In der Praxis wird sich jeder Dolmetscher darauf konzentrieren, nach einem wirkungslosen Witz elegant weiter zu dolmetschen, ohne die Zuhörer zu irritieren. Damit dies reibungslos gelingt, ist manchmal eine kurze Nebenbemerkung nach dem Motto „Germans find this funny“ nötig, um souverän fortfahren und sich wieder auf die wesentlichen Inhalte der Rede konzentrieren zu können.

 

„Bitte lachen Sie jetzt“

Eine weitere Möglichkeit: Dolmetscher versuchen erst gar nicht, den Witz widerzugeben, sondern klären das Publikum darüber auf, dass gerade ein Witz gemacht wurde und fordern die Zuhörer mit dem Satz „Bitte lachen Sie jetzt“ zum Mitlachen auf. Dieser Trick wird insbesondere angewandt, wenn das Publikum aus einem komplett anderen Kulturkreis kommt als der Redner.
 

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Wie Präsident Jimmy Carter in Tokio für Lacher sorgte

Dass diese Strategie gut funktionieren kann, erlebte der frühere US-Präsident Jimmy Carter einmal bei einem Geschäftsessen in Tokio: Er begann seine Rede, die simultan ins Japanische gedolmetscht wurde, mit einem Witz und war überrascht, wie schnell und ausgelassen das Publikum reagierte. Im Nachhinein verriet ihm der Dolmetscher das Geheimnis: Er hatte dem Publikum nicht den Witz erzählt – vermutlich, weil dieser beim Publikum nicht automatisch zu Lachern geführt hätte – sondern gesagt: „Präsident Carter hat einen sehr lustigen Witz erzählt. Bitte lachen Sie jetzt!“.
 

Die Situation erklären

Wenn Dolmetscher spüren, dass es nicht gelingen kann, den Witz mitsamt Pointe in die andere Sprache zu übertragen, entscheiden sie sich dazu, die Situation einfach auf der Metaebene zu erläutern. Etwa indem sie die Absicht der witzigen Bemerkung erläutern und diese betonen: „Der Redner macht einen Witz, um zu zeigen, dass wir alle in einem Boot sitzen.“
 

Einen „Ersatzwitz“ in der Zielsprache finden

Redner, die bereits häufiger mit Dolmetschern zusammengearbeitet haben, gehen das Thema möglicherweise von sich aus offensiv an: Sie informieren die Dolmetscher im Vorfeld darüber, dass ein Witz geplant ist – und bitten den Sprachmittler darum, sich einen guten Witz in der Zielsprache zu überlegen. Das ist ein kluger Schachzug, um den Dolmetscher nicht kalt zu erwischen – und das Publikum dennoch zum Lachen zu bringen.
 

Tipps für Redner: Humor dosiert einsetzen!

Für Sie als Redner bedeutet das: Setzen Sie Humor, Anekdoten und Wortspiele wohl überlegt ein. Um das Eis zu brechen oder Ihr Publikum von Anfang an zu fesseln, ist es toll, wenn Sie Ihren Vortrag mit einer kleinen Anekdote oder einer humorvollen Anmerkung beginnen. Wenn Sie solche rhetorischen Mittel einsetzen und Ihr Vortrag gedolmetscht wird, sollten Sie sich aber vorher fragen: Wie gut (oder schlecht) lässt sich dies in eine andere Sprache bzw. in eine andere Kultur übertragen?
 

Ist der Witz sinnvoll, um die Botschaft zu übermitteln?

Eine Anspielung, die nur von Kennern der Lokalpolitik verstanden wird, ruft auch bei bester Übersetzung nur ratloses Stirnrunzeln hervor. Ein Wortspiel kann oft schlichtweg nicht in eine andere Sprache übertragen werden. Das bedeutet nicht, dass Sie komplett auf Humor verzichten müssen – aber überprüfen Sie vorher, ob der Witz sinnvoll ist, um Ihre Botschaft einem internationalen Publikum nahe zu bringen.
 

Wenn Sie dann etwas Humorvolles sagen, machen Sie eine kleine Pause, um den Dolmetschern die Gelegenheit zu geben, das Gesagte passend zu übertragen. Die leicht verzögerten Lacher der Zuhörer mit Kopfhörer geben Ihnen einen guten Hinweis, ob dies geklappt hat. Falls nicht, suchen Sie vielleicht beim nächsten Mal im Vorfeld das Gespräch mit dem Dolmetscher und kündigen Sie Ihren Witz an. Das erhöht die Chancen, dass dieser auch bei Ihrem Zielpublikum ankommt.

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